Patente verursachen „Impf-Apartheit“

NGOs fordern Aufhebung des Patentschutzes

  • Eine faire globale Verteilung von Corona-Impfstoffen gilt als gescheitert.
  • UN-AIDS-Direktorin spricht von “Impfstoff-Apartheid”.
  • Entwicklungsminister Müller warnt vor einer dramatischen Benachteiligung ärmerer Länder bei der Versorgung mit Corona-Impfstoff und fragt sich, warum das hier niemanden interessiert.
  • „Geld oder Leben!“: Pfizer erpresst lateinamerikanische Staaten und will deren Staatseigentum als Sicherheit.
  • Patente töten: Internationales Patentschutz-Abkommen TRIPS schützt Pharmakonzerne und hindert Länder an Generika-Herstellung – Industrieländer verweigern Ausnahmeregelung.
  • China durchbricht Impfstoffapartheit und liefert kostenlos Sinovac an Simbabwe und Mosambik.
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Eine faire globale Verteilung von Corona-Impfstoffen gilt als gescheitert

Am 18. Januar stellte der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus zum Auftakt einer mehrtägigen Sitzung des WHO-Exekutivrates fest: “Während in mindestens 49 wohlhaben­den Staaten inzwischen 39 Millionen Dosen verabreicht worden seien, liege die Zahl der gespritzten Dosen in einem der besonders armen Länder bei gerade einmal 25” – “Nur 25 Dosen wurden in einem der ärmsten Länder verabreicht, nicht 25 Millionen, nicht 25.000, nur 25“, betonte der WHO-Chef. [1]

Daran hat sich bisher im Prinzip nicht viel geändert.

COVAX – die Allianz zur weltweiten Impfstoffverteilung aus WHO, einigen Einzelstaaten und der Gates-Stiftung – konkurriert auf dem hart umkämpften Markt mit den reichen Ländern bei den bilateralen Verhandlungen mit den Herstellern. Das vermehrt nicht die produzierte Menge und reduziert nicht die Preise der Impfstoffe. [2]

Impfstoff-Apartheid oder Gleichheit

Winnie Byanyima, die Exekutivdirektorin von UN-AIDS, das Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/Aids, bezeichnet diesen Zustand als Impfapartheit:

“Vor neun Monaten standen die führenden Politiker der Welt Schlange, um jeden Impfstoff von Covid-19 zu einem globalen öffentlichen Gut zu erklären. Heute sind wir Zeuge einer Impfstoff-Apartheid, die nur den Interessen mächtiger und profitabler Pharmakonzerne dient und uns den schnellsten und am wenigsten schädlichen Weg aus dieser Krise kostet”. [3,4]

Pfizer erpresst lateinamerikanische Länder

Der US-Pharmakonzern Pfizer verhandelt in Lateinamerika mit extremen Mitteln. “Sie werden wegen euch sterben”, sollen seine Verhandler zu einer Regierung gesagt haben. Zwei Staaten brachen die Gespräche ab, weil Pfizer immer mehr forderte, sich aber kaum bewegte.

Pfizer forderte beispielsweise von Peru als Sicherheit das Recht, auf Staatseigentum zugreifen zu können. Regierungsmitarbeiter aus Argentinien und eines weiteren Landes berichteten wegen einer Verschwiegenheitsklausel nur anonym, dass der Konzern lateinamerikanische Regierungen unter Druck setzte, ihm Botschaftsgebäude, Militärbasen im Ausland oder Teile ihrer Nationalbankreserven als Sicherheiten überschreiben, falls sie verklagt würden.

Mögliche Schadenersatzforderungen aller Art aus zivilrechtlichen Klagen sollten auf die Käuferstaaten abgewälzt werden. Selbst im Falle von eigener Fahrlässigkeit des Unternehmens, etwa einer unterbrochenen Lieferkühlkette oder eines falschen Impfstoffs, sollte beispielsweise Argentinien anstelle des Konzerns haften. [5]

Patentschutz-Abkommen TRIPS schützt Profite statt Leben

Zurückführen lassen sich die beschrieben Zustände auf das von Beginn an umstrittene TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO). TRIPS steht für “Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights” und regelt auch im Fall des Impfstoffs die geistigen Eigentums- und Patentrechte. Seine Entstehung in den 90er Jahren kann als das Ergebnis eines Lobbying-Prozesses durch multinationale Unternehmen wie Pfizer und IBM gesehen werden. Das Ziel: Globale Monopole für die Verwertung von Geschäftsideen, Erfindungen und Entdeckungen zu etablieren. Es ist mit weitreichenden Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Staaten versehen, die sich über das Abkommen hinwegsetzen, und hindert so andere Länder an der Herstellung von Generika. Die bisher heftigste Auseinandersetzung fand über AIDS-Medikamente für Afrika statt, wobei die Patente bei der Aushöhlung des dortigen öffentlichen Gesundheitswesens eine wesentliche Rolle spielten. Der vermeidbare Tod von 7,6 Millionen Menschen allein in Subsahara-Afrika wurde billigend in Kauf genommen.[6,7]

Industrieländer verweigern Ausnahmeregelung

Eine Änderung von TRIPS sieht allerdings eine Ausnahmeregelung für globale Notsituationen vor: Einen temporären „TRIPS-Waiver“, also die Aussetzung des TRIPS-Abkommens. Mehr als 100 Länder unterstützen bereits einen entsprechenden von Indien und Südafrika bei der WTO eingebrachten Antrag, damit Unternehmen vor Ort Generika von Covid-19-Impfstoffen und Medikamenten herstellen könnten.

Die sofortige Ablehnung durch die USA, die EU, Großbritannien, Norwegen, die Schweiz, Japan, Kanada, Australien und Brasilien verhinderte die Umsetzung. Das wiederholte sich bei zwei weiteren Treffen. [8,9]

Soviel zu den vollmundigen Versprechungen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und der deutschen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom Sommer 2020. Seit kurzem lehnt Jens Spahn Anläufe zur Patentfreigabe mit dem Hinweis auf die hohe Komplexität der Herstellungsverfahren der Impfstoffe ab. Als wenn der indische Impfstoffhersteller Serum Institute und der das südafrikanische Pharmaunternehmen Aspen Pharmacare nicht schon längst Impfstoffe in Weltmaßstab produzieren würden.

China spendet armen Ländern Impfstoffe

China schließt sich der Haltung der Freigabeverweigerer in der WTO nicht an:

In einer ersten Runde wurden bereits Impfspenden an 13 Länder geflogen, Lieferungen an 38 weitere Staaten sind geplant – von Algerien über Simbabwe, Marokko und Uganda bis zur Mongolei.

Das lässt die Länder des Impfstoffnationalismus natürlich als egoistische Kleingeister dastehen – Debatten über „geostrategische Interessen“ und „Chinas Impfstoffdiplomatie“ hin oder her.[10]

NGOs fordern die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente

Es gibt gerade mehrere Anläufe zur Freigabe der Impfpatente.

In einem offenen Brief an den Schweizer Bundesrat fordern Ärzte ohne Grenzen (MSF) gemeinsam mit Public Eye und Amnesty International den Zugang zu Covid-19-Behandlungen und -Impfungen für alle.

Die Schweizer Regierung wird darin aufgefordert, „einen Antrag zur Ausnahmeregelung bezüglich einiger Bestimmungen des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) zur Prävention, Eindämmung und Behandlung von Covid-19 zu unterstützen und sich für konstruktive Verhandlungen mit anderen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) einzusetzen, mit dem Ziel, diesen Antrag am nächsten Treffen des Allgemeinen Rates der WTO im März 2021 zu verabschieden.“

Mehrere NGOs wenden sich mit einem Offenen Brief direkt an BioNTech – als Appell für weltweiten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen. [11]

Am weitesten geht ein Aufruf mit der Überschrift „Patente garantieren Gewinne und töten Menschen“ . Gefordert wird die Aufhebung des Patentschutzes auf alle unentbehrlichen Medikamente, initiiert von BUKO Pharma-Kampagne und medico international (Deutschland), Outras Palavras (Brasilien), People’s Health Movement und Society for International Development.

Die Aufforderung richtet sich an die jeweilige Regierung, ihre Politik so auszurichten, dass die Arzneimittel als globale öffentliche Güter behandelt werden und die Macht von Pharmaunternehmen im öffentlichen Interesse begrenzt wird. Eine Politik, die an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist. „Hierfür sind die Entkoppelung von Forschungskosten und Preis bei Medikamenten unabdingbar, um neue Anreizmechanismen zu setzen, die Innovationen fördern und zugänglich machen.“

Die Autoren sehen die Geschichte jeder Epidemie auch als „eine Geschichte des Zusammenspiels von Wissen, Macht und Politik“: Einerseits die Verharmlosung der Gefahr durch das Virus und damit Gefährdung Tausender Menschenleben durch einige Regierungen. Andererseits die exklusive Sicherung von Masken, Diagnostika oder in Entwicklung befindlicher Impfstoffe. „Und die Pharmaindustrie stellt ihre Gewinninteressen ins Zentrum.“ „Zugleich bauen philantrokapitalistische Akteure ihren Einfluss aus – zulasten demokratischer Prinzipien und Normen“. Hiermit ist der Rückzug der Länder aus ihrer der Verantwortung gegenüber der WHO gemeint, und das Schließen dieser Lücke durch die Stiftungen superreicher Global Player wie der Gates-Stiftung.

Statt auf die Erforschung und Entwicklung lebensrettender Medikamente und deren gerechte Verteilung habe das Patentsystem „die Wissensproduktion im medizinischen Bereich (nicht nur) auf Gewinnmaximierung und Kapitalerträge ausgerichtet“, sondern schaffe zudem „mit der Patentierung von Forschungsmethoden und -instrumenten selbst Barrieren für den Forschungsfortschritt.“ „Die Überwindung dieser ungerechten Strukturen ist ein Vorgriff auf eine Zukunft, in der die Daseinsvorsorge vom Markt- und Profitprinzip befreit ist und die das Menschenrecht auf Gesundheit als Gemeingut in das Zentrum des gesundheitspolitischen Handelns stellt.“

Im Sinne der genannten Ziele ist die Forderung nach folgenden Sofortmaßnahmen logisch:

  • Die Einrichtung eines globalen Patentpools für die einfache und kostengünstige Handhabung von Lizenzverträgen, angesiedelt bei der WHO.
  • Die Verbesserung von Daten- und Preistransparenz in Forschung, Entwicklung und Verkauf, um Wissen breit zugänglich zu machen und Preise fair zu gestalten.
  • Eine sozialverträgliche Lizenzierung bei allen mit öffentlichen Mitteln geförderten medizinischen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben.
  • Die Förderung einer lokalen und öffentlichen pharmazeutischen Produktion durch die Unterstützung von Ländern des Südens beim Aufbau eigener Produktionskapazitäten u.a. durch Technologietransfer und Anschubfinanzierungen und die Schaffung leistungsfähiger regionaler Verteilungssysteme für Medikamente und Medizinprodukte. [12]

Ich persönlich empfehle, den Aufruf Patente garantieren Gewinne und töten Menschen zu unterschreiben.

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Klaus Noßeleit, 28.02.21



[1] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/120266/WHO-Bisher-erst-25-Impfdosen-in-einem-der-aermsten-Laender-gespritzt (18.01.2021)
[2] https://www.deutschlandfunk.de/globale-verteilung-von-corona-impfstoff-impfgerechtigkeit.724.de.html?dram:article_id=491870 (02.02.2021)
[3] https://www.dailymaverick.co.za/article/2021-01-06-vaccine-apartheid-or-equality-how-south-africa-can-have-the-vaccine-rollout-it-requires/ (06.01.2021)
[4] https://www.theguardian.com/global-development/2021/jan/29/a-global-vaccine-apartheid-is-unfolding-peoples-lives-must-come-before-profit (29.01.2021)
[5] https://www.n-tv.de/panorama/Pfizer-verhandelt-in-Lateinamerika-eisenhart-article22384876.html
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbereinkommen_%C3%BCber_handelsbezogene_Aspekte_der_Rechte_des_geistigen_Eigentums
[7] https://www.one.org/de/blog/trips-waiver/
[8] https://www.publiceye.ch/de/mediencorner/medienmitteilungen/detail/impfungen-und-medikamente-gegen-covid-19-patentschutz-muss-gelockert-werden
[9] https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/patente-4867/
[10] https://www.fr.de/politik/impfungen-hoffnungsbringer-china-90218919.html (26.02.2021)
[11] https://www.msf.ch/de/neueste-beitraege/pressemitteilung/zugang-zu-covid-19-behandlungen-und-impfungen-fuer-alle-offener (27.01.2021)
[12] https://www.patents-kill.org/deutsch/