Bergedorfer APO: Eine Revolte, die bis heute wirkt

Sie sind bis heute ein gesellschaftspolitisches Streitthema ersten Ranges: die APO, der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) und die Studentenbewegung der Jahre 1966 bis 1970. Ihre Befürworter sahen in der Revolte den längst überfälligen Schritt von der autoritär geprägten Bundesrepublik hin zu mehr Demokratie und Gleichberechtigung, ihre Gegner aus dem rechten Lager sprechen heute davon, endlich wegzukommen vom „links-rot-grünen verseuchten 68er Deutschland“.

Inzwischen gibt es zahlreiche Publikationen über die Studentenbewegung in den verschiedensten Ländern und Metropolen. Wie sich der Wandel in kleineren und mittleren Städten, zu denen man auch den Bezirk Bergedorf zählen kann, abgespielt hat, ist bislang nur wenig erforscht. Dabei nahm Bergedorf eine besondere Rolle ein: am Rande Hamburgs liegend entwickelten sich hier andere Strukturen, die nicht nur von Studenten dominiert wurden.

Das APO Zentrum

Demo gegen Schmidt In der Bergedorfer APO fanden sich neben Studenten auch Intellektuelle, Arbeiter, Lehrlinge und Schüler zusammen, wobei einige Männer den Ton angaben. Sie stellten ihren Eltern, Lehrern sowie den politischen und gesellschaftlichen Eliten Fragen nach ihrer NS-Vergangenheit, nach dem verinnerlichten Antikommunismus, stellten deren autoritäres Gehabe in Zweifel und hatten auch noch Spaß dabei, die Provozierten vorzuführen. Ihre Aktionen wirkten weit über Bergedorf hinaus wie die Demonstration zu einem Auftritt Helmut Schmidts im Lichtwarkhaus, der in einem massiven Polizeieinsatz endete. Oder der Brand der Holzhandlung Behr am Kupferhof, der den APOisten in die Schuhe geschoben werden sollte, das Feuer legten aber Hansa-Schüler. Die Presse berichtete bundesweit über Bergedorf.

Es ist dem Autor Arne Andersen gelungen, die allgemeine Geschichte der APO mit den Besonderheiten der Bergedorfer Geschichte zu verknüpfen. Lokalgeschichte at its best! Es ist eben kein Jubelbuch über die Linken geworden, sondern nimmt das, was die Bergedorfer APO gemacht hat, kritisch in den Blick. Es war sicher keine leichte Aufgabe für Arne Andersen, selbst Akteur der Bergedorfer APO, immer wieder über den eigenen Schatten zu springen und sein damaliges Tun zu reflektieren. Die zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen haben ihm dabei geholfen.

Das Buch endet ziemlich abrupt mit der Auflösung der Bergedorfer APO im April 1970. Das ist formal korrekt, aber ich hätte mir gern noch einen Ausblick auf die 1970er Jahre gewünscht. Vor allen Dingen interessiert mich die Frage, was aus den Akteuren geworden ist. Viele, die durch die Bergedorfer APO sozialisiert worden sind, blieben auch in ihrem weiteren Leben in oder neben ihrem Beruf politisch aktiv. Der „Senior“ der Bergedorfer APO Alfred Dreckmann avancierte vom Bürgerschreck zum allseits anerkannten Museumsleiter. Lutz Schulenburg gründete den linken Nautilus-Verlag. Thomas Ebermann wurde Politiker und Autor und Doris Gehrcke feierte mit sozialkritischen Krimis Erfolge. Es gibt noch viele mehr zu nennen.

Festnahme von Klaus ThormälenAuch der Untertitel des Buches, in dem Bergedorf als Provinz bezeichnet wird, verursacht bei mir etwas Bauchgrimmen. War es nicht Herbert Marcuse, einer der Theorieväter der 68er, der behauptete, die Gesellschaft lasse sich nur von den Rändern her verändern? Gilt das nicht auch für die topographischen Ränder? Dann wäre Bergedorf mit seiner spezifischen Zusammensetzung der APO vielmehr das Zentrum der Bewegung und Modell für eine gelungene Demokratisierung der autoritären Gesellschaft. Diese Interpretation gefällt mir besser.

Alles in allem: Ein verdienstvolles Buch, das Lust auf mehr macht. Eine Buchvorstellung und Diskussion mit dem Autor wäre eine schöne Sache. Mehrere Leute arbeiten schon daran. Wir melden uns.

„Die Bergedorfer APO. Politischer Protest in der Hamburger Provinz“ von Arne Andersen. Hrsg. Vom Kultur- und Geschichtskontor, Hamburg-Bergedorf 2021, ISBN 978 – 3- 942998 – 20 – 8, 14,90 €

Fotos: Günter Zint

Leserbriefvon Arne, Juli 2021
Liebe Unteilbare Bergedorfer*innen,

Zunächst danke für die schöne Besprechung von Christel.

Zunächst eine Ergänzung: Das Foto vom APO-Zentrum habe ich dem Verfassungsschutz zu verdanken, der das Zentrum von allen Seiten fotografiert hat, offenbar um zu dokumentieren, wie man es polizeilich einnehmen konnte, ohne dass die Anwesenden sich der mögliche Verhaftung hätten entziehen können. Es war in einer Akte des VS im Staatsarchiv. Den größten Teil des Bestandes des VS zur APO ist nach über 50 Jahren allerdings immer noch gesperrt. Auch auf meine Anfrage hin wollte der Staatsschutz Sperrung nicht aufheben.

Die übrigen Fotos sind von Günter Zint, dem großartigen Dokumentaristen nicht nur der Hamburger 68er Bewegung.
Auf die Weiterführung der Geschichte über 1970 hinaus habe ich bewusst verzichtet. Entweder hätte man systematisch und theoretisch die Aufspaltung in die verschiedenen Fraktionen der APO beschreiben müssen, das hätte aber den Charakter des Buches gesprengt. Gegen den Ausblick über die Biografien von uns APOist*innen habe ich bewusst verzichtet. Ich wollte nicht die bisherige Geschichtsschreibung der 68er-Bewegung wiederholen, die lediglich die führenden SDSler (Frauen tauchen kaum auf in dieser Geschichtsschreibung) betrachtet. Ist die bekannte Krimiautorin mehr wert, erwähnt zu werden als jemand, der bis zu seiner Rente im Betrieb in Reinbek gearbeitet hat und dort als Betriebsrat und später als Betriebsratsvorsitzender sich für die Kolleginnen und Kollegen eingesetzt hat und so die Geschichte der APO fortgeschrieben hat? Aber vielleicht hätte ein Anhang mit den Biografien aller Interviewten helfen können.

Arne Andersen