Ungestörtes Gedenken an einen Massenmörder

In einem Abkommen hat die Bundesregierung gegenüber Namibia den Völkermord an dort lebenden Volksgruppen während der deutschen Kolonialzeit eingeräumt und Wiedergutmachung versprochen. Einem der Verantwortlichen, Lettow-Vorbeck, wurde vor 66 Jahren ein Denkmal in Aumühle gewidmet. Er war zunächst Kompaniechef in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, im 1. Weltkrieg wurde er Kommandeur der „Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika.“

Schon vor einem Jahr fand im schleswig-holsteinischen Landtag eine Debatte um eine große Anfrage des SSW zur Aufarbeitung der europäischen und deutschen Kolonialgeschichte in diesem Bundesland statt. Der Abgeordnete Lars Harms vom SSW sprach dieses Monument an:

„Aber wenn ich zum Beispiel an das Denkmal in Aumühle denke, das Paul von Lettow-Vorbeck ehrt, der unter Lothar von Trotha am Völkermord an den Herero und Nama teilgenommen hat und Truppen in Deutsch-Ostafrika befehligte, dann gruselt es mich wirklich.“ (Landtags-Protokoll 19/88 vom 18. Juni 2020).


Es stellt eine Szene aus dem 1. Weltkrieg dar, in dem die deutschen Kolonialtruppen den Truppen anderer Kolonialmächte gegenüberstanden. In der Mitte Lettow-Vorbeck, dessen Blick in die Ferne vermutlich die englischen Kolonialisten in den Blick nimmt. Rechts hinter ihm ein Askari-Krieger, der ihm den Weg weist, links ein afrikanischer Träger, der sich einen Moment ausruht.

Dieses prosaische und monströse Denkmal war Mitte der 1930er Jahre in Auftrag gegeben worden. Der einzige „unbesiegte deutsche General von Lettow-Vorbeck“ sollte der NS-Propaganda in der Wiederaufrüstung und Remilitarisierung als Vorbild dienen. Doch der Bildhauer Walther von Rukteschell, im 1. Weltkrieg der Adjudant des Generals, starb vor Fertigstellung seines Propaganda-Machwerks. Seine Frau vollendete es in ihrem Atelier in Dachau. Nach Ende des 2. Weltkrieges stand der ursprünglich geplante Aufstellungsort – die Rheinpromenade in Düsseldorf – für dieses rassistische Machwerk nicht mehr zur Verfügung. Was also tun mit diesem 3,60 m hohen Koloss? Lettow-Vorbeck wandte sich an die Familie Bismarck, die einen Platz in Aumühle zur Verfügung stellte. In einem aktuellen Flyer der Otto von Bismarck Stiftung heißt es schlicht: „Das in Deutsch-Ost-Afrika bis 1914 im Eisenbahn- und Brückenbau engagierte Bauunternehmen „Philipp Holzmann“ übernahm aus alter Verbundenheit mit Lettow-Vorbeck den Transport (…) nach Aumühle.“

Zehn Jahre nach der endgültigen Niederlage des deutschen Faschismus, am 8.Mai 1955, weihte der damalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Kai-Uwe von Hassel (CDU) das „Ostafrika-Schutztruppendenkmal“ in Aumühle auf dem Besitz derer von Bismarck ein. Nach Hassels Auffassung hatten deutsche Kaufleute 1884/85 in West-/Südwest- und Ostafrika „rechtmäßig Land erworben“. Diese deutschen Kolonien verteidigte Lettow-Vorbeck mit seinen „Schutz“truppen gegen Erhebungen der Einheimischen und gegen die Truppen anderer Kolonialmächte. Diesen „dem ganzen Volk unvergessenen Kampf“ führte er mit einer Härte und Grausamkeit, die seinesgleichen suchte. Hassel widmete das Denkmal denjenigen, „die Deutschland fern ihrer Heimat verteidigten“.

Seit 1955 steht dieses Denkmal nun unkommentiert im Sachsenwald. Die Legende der treuen Afrikaner stimmte schon damals nicht. Die Askaris bezeichneten Lettow-Vorbeck als „Herr, der unser Leichentuch schneidert“. Knapp 20% der auf deutscher Seite kämpfenden Askaris wurde fahnenflüchtig. Die widerständigen Massai, Wamakonde, Wangoni und andere Volksgruppen zwangen die deutsche Kolonialmacht immer häufiger zu „Strafexpeditionen“, in deren Verlauf zahlreiche Widerstandskämpfer erhängt und als Vergeltung ganze Dörfer niedergebrannt wurden. Bei ihrem Rückzug in den Süden der Kolonie Deutsch-Ostafrika wandte Lettow-Vorbeck die Strategie der „verbrannten Erde“ an. Auf Grund dieser rücksichtslosen Kriegsführung starben ca. 300.000 Afrikaner*innen, knapp 5 % der dort lebenden Bevölkerung. Die Wertschätzung der auf dem Denkmal verewigten afrikanischen Askari-Kämpfer hielt nur begrenzt. „Es ist allgemein nicht angezeigt, Farbige in Behandlung zu nehmen und für sie Sanitätsmaterial zu verbrauchen, wenn nicht ihre Wiederherstellung in kurzer Zeit gewährleistet ist und feststeht, dass sie der Truppe noch von Nutzen sein werden,“ so der Chefarzt von Lettow-Vorbecks Kommando am 10. Mai 1917. Die immer wieder betonte Treue war so sehr einseitig definiert: Wer nicht mehr für die deutschen Kolonialherren kämpfen konnte, wurde sich selbst überlassen.

Auch den sich ausruhenden, treu ergebenen Träger, wie er auf dem Denkmal dargestellt ist, gab es zumeist nur als Legende. Aufgrund der großen Entfernungen und der fehlenden Infrastruktur benötigten die Deutschen zahlreiche Träger, um den Nachschub für die Truppen aufrecht zu erhalten. Gerade gegen Ende des Krieges konnte die notwendige Zahl der Träger nur mit Zwang rekrutiert werden. Viele Träger, die der harten Zwangsarbeit überdrüssig waren und lieber bei ihren Familien sein wollten, um sie bei der schlechten Versorgungssituation zu unterstützen, flohen. Fasste die deutsche Kolonialtruppe einen von ihnen, wurde er entweder ausgepeitscht oder zur Abschreckung öffentlich hingerichtet. Nach dem Krieg schrieb ein ehemaliger deutscher Kolonialbeamter, der „Verbrauch von Menschen dieser Gruppe (sei) furchtbar gewesen“. Mehr als 100.000 dieser Träger fanden nach dieser Quelle den Tod.

1967 stürzten Studenten das Denkmal von Hermann Wissmann, dem ersten deutschen Kolonialgouverneur in Ostafrika, vor der Hamburger Universität. Das Denkmal ist inzwischen in der Bergedorfer Sternwarte eingelagert. Ein damals Aktiver erklärte: „Der Aumühle-Koloss hätte das gleiche Schicksal verdient. Nur seine Größe hat bisher seinen Sturz verhindert.“

Leserbriefvon Annette, September 2021
Liebes Team von unt.bgdf,

vielen Dank für den informativen Artikel zu dem Koloss in Aumühle.

Ich habe schon oft davor gestanden und mich gefragt, wieso so ein rassistisches Werk so toleriert wird. Könnte nicht eine Aktion gestartet werden? Vielleicht eine Tafel mit den von Ihnen gegebenen Informationen? Ist es strafbar, dieses Machwerk zu beschriften? Es dürfte doch eigentlich gar nicht mehr stehen.

Wenn es auf einem Privatgrundstück steht, könnte man eine Mahnwache bei den Bismarcks machen bzw. anfragen, ob man die Skulpturen auch kritisch kreativ umdeuten könnte?

Könnte ich mit Ihnen eine Aktion planen?

Liebe Grüße
Annette Onu