Bundesweite Demo 27. August 2022 – 14 Uhr
Rostock – Lichtenhagen
30 Jahre nach dem rassistischen Progrom gemeinsam auf die Straße gehen, denn rassistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen bis heute Hand in Hand. Dem Erinnern muss ein Handeln folgen.
Rostock-Lichtenhagen und das Sonnenblumenhaus
Der Stadtteil von Rostock und speziell das als Sonnenblumenhaus bekannte Gebäude wurde in den Tagen zwischen dem 22. und 24. August 1992 zu einem bitteren Symbol für die massive rechte und rassistische Gewalt in Deutschland in den 90er Jahren. Im Sonnenblumenhaus befanden sich zu dem Zeitpunkt ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen und seit der Wende die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen (ZASt).
Ausmaße der rassistischen Angriffe
An den rassistischen Angriffen beteiligten sich mehrere hundert Menschen, darunter auch Neonazis aus ganz Deutschland, die unter dem Applaus tausender Zuschauer*innen die ZASt und das Wohnheim der Vietnames*innen mit Steinen, Molotowcocktails und anderen Tatwaffen angriffen und in Brand setzten.
Dass solch eine massive Eskalation möglich wurde, ist die Folge von institutionalisiertem Rassismus und den daraus resultierenden Fehlentscheidungen von Politik und Polizei, die von den Verantwortlichen im Nachhinein verharmlost und bestritten wurden. Auf einige Aspekte des systematischen Versagens und der zweifelhaften politischen Motivation der staatlichen Akteure möchten wir näher eingehen.
Systematisches Versagen
Die Kapazitäten der ZASt waren schon seit ihrer Einrichtung im Dezember 1990 mehrfach ausgeschöpft und die Geflüchteten gezwungen, ohne Zugang zu sanitären Anlagen, medizinischer Hilfe und der Versorgung mit Lebensmitteln unter freiem Himmel zu nächtigen. Stadt und Land reagierten über Monate unzureichend auf den gestiegenen Bedarf, vielmehr schürten sie mit ihren Äußerungen rassistische Positionen in der Bevölkerung. In den Tagen vor dem Pogrom gingen Ankündigungen der bevorstehenden rassistischen Angriffe durch die Medien. Trotz der Drohungen wurde bei den Behörden keine besondere Einsatzlage ausgelöst. Stattdessen war ein ungewöhnlich großer Teil des polizeilich und politisch leitenden Personals am betreffenden Wochenende nicht vor Ort.
Das Pogrom
Obwohl die Angriffe bereits dramatische Ausmaße angenommen hatten, bestand für die Rostocker Polizei zunächst keine erhöhte Alarmbereitschaft. Stattdessen waren die am ersten Tag eingesetzten Polizeieinheiten unterbesetzt, unzureichend ausgestattet und überfordert. Am dritten Tag der Angriffe zog sich die Polizei zwischenzeitlich zurück und überließ die Menschen in dem Gebäude sich selbst und dem angreifenden, rechten Mob.
Statt die Angriffe zu unterbinden, wurde am zweiten Tag eine antirassistische Gegendemonstration brutal von der Polizei aufgelöst. 60 der 80 am Sonntag vorläufig festgenommenen Personen waren keine Nazis, sondern linksorientierte Demonstrant*innen, die sich solidarisch mit den betroffenen Menschen zeigen wollten.
Erst am dritten Tag fiel die Entscheidung die ZASt zu räumen – das angrenzende Wohnheim der Vietnames*innen allerdings nicht. Die Polizei hielt es nicht für notwendig die vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen vor den rassistischen Angriffen zu schützen. Polizei und Feuerwehr waren keine Hilfe und die angegriffenen Menschen mussten sich selbst über das Dach aus dem brennenden Haus retten.
Die Folgen
Noch zwei Tage nach der Evakuierung gab es in Lichtenhagen Krawalle und Angriffe auf die Polizei. Sofort begann die Regierung das Pogrom zu nutzen, um die laufende Asylrechtsdebatte in die gewünschte Richtung zu lenken. Die Folge waren Gesetzesverschärfungen und Abschottung.