Blickt man auf die zurückhaltende bis ablehnende Haltung der meisten afrikanischen Länder gegenüber den Sanktionen des Westens gegen Russland, sieht es schon anders aus. [1]
Die Motive der einzelnen Länder mögen sich unterscheiden. Eine Rolle dürften auf alle Fälle die Erfahrungen mit der brutalen kolonialen Geschichte, der versuchten Unterdrückung der Befreiungsbewegungen und der neokolonialen Politik Westeuropas spielen. Hat beispielsweise die EU in Afrika in erster Linie eine Quelle billiger Rohstoffbeschaffung und einen Absatzmarkt für eigene Produkte gesehen [2], z.B. zur Entsorgung von in der EU nicht vermarktbaren Geflügelresten zu Lasten afrikanischer Produzenten[3], gipfelte dies in der allseits bekannten Verteilung der Impfstoffe und der Verweigerung der Freigabe der Impfstoffpatente. Der EU u.a. wurde nicht ohne Grund „Impfapartheid“ vorgeworfen.[4] (s. auch meinen Artikel vom März 2031 auf unteilbar-bergedorf).
Daran ändern auch die gönnerhaften Spenden zuvor gehamsterter Impfstoffdosen kurz vor dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums nichts. Ohnehin: In der EU würden derzeit mehr Impfstoffe entsorgt als nach Afrika gespendet, heißt es von Oxfam. [5]
Dass dies noch zu toppen ist, bewiesen kürzlich BioNTech und die deutsche Ampelregierung.
Patentfreigabe? – Absage aus Deutschland!
Olaf Scholz ist eigener Technologievorsprung wichtiger als Impfgerechtigkeit
Wurde noch am 31. Januar 2022 berichtet, dass eine Einigung im Impfstoffpatentstreit laut WTO kurz bevorstehe [6], ist der Optimismus schnell wieder verflogen.
Nur 18 Tage später berichtete z.B. das Ärzteblatt: Deutschland und die Europäische Union haben dem eine deutliche Absage erteilt.
„Es geht ja darum, dass wir den großen Fortschritt, der zum Beispiel mit der Entwicklung der mRNA-Technologie verbunden ist, jetzt nicht verspielen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz heute nach einem zweitägigen Gipfel zwischen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union in Brüssel.
Dieser Fortschritt habe auch etwas damit zu tun, dass Eigentumsrechte gewahrt blieben.
Scholz betonte, dass es vielmehr darum gehe, Produktionsmöglichkeiten vor Ort zu schaffen.[7]
Dabei immer im Blick: Die Profitabsicherung von BioNTech.
Die größte Sauerei: BioNTech sabotiert Afrikas eigene Impfstoffentwicklung mit aggressivem Lobbyismus
Zur Überwindung der Impfstoffknappheit in Afrika hat ein Labor des Biotechnologieunternehmen Afrigen Biologics and Vaccines in Kapstadt mit Hilfe der WHO an einem eigenen Vakzin geforscht und „innerhalb kürzester Zeit das Rezept für einen eigenen, patentfreien mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 gefunden, und zwar nicht nur gegen den passiven Widerstand der etablierten Vakzinhersteller”[8]. Als Ausgangspunkt diente das mRNA-Vakzin des US-Pharmakonzerns Moderna: Nicht nur, weil dieser angekündigt hatte, mögliche Patentrechtsverletzungen zumindest während der Pandemie nicht verfolgen zu lassen, sondern vor allem, weil über das Moderna-Serum die meisten Informationen öffentlich zugänglich waren. Patente werden dabei nach WHO-Angaben nicht verletzt.[8]
Tatsächlich hatten die Kapstädter Forscherinnen und Forscher schon Anfang dieses Jahres Erfolg, indem sie ein Serum fanden, das die Voraussetzungen für eine industrielle Produktion erfüllte. Tests mit dem Impfstoffkandidaten könnten im Herbst beginnen, sagte Martin Friede, WHO-Koordinator für Impfforschung. Und: „Im September sagten viele: Das ist Raketentechnologie, das schafft ihr nicht.“ [9]
In diesem Erfolg sieht BioNTech eine Gefährdung eigener Interessen und bleibt nicht untätig.
So wurde bekannt, dass BionNtech bei der Regierung in Pretoria sogar einen Entwicklungsstopp durchzusetzen versuchte. Der Impfstoff sei illegal, weil mit seiner Herstellung gegen das Patentrecht verstoßen werde. Nach Recherchen des British Medical Journal hat BioNTech zur Durchsetzung seiner Absichten seine von ihm selbst finanzierte und als „Stiftung“ ausgewiesene Lobbyorganisation namens Kenup vorgeschickt, um Druck auf die Südafrikanische Regierung auszuüben. Der Kapstädter Versuch verstoße gegen das Patentrecht: Er sei deshalb ohnehin kurzlebig und müsse abgebrochen werden. Stattdessen promotete die “Stiftung” die Pläne BioNTechs, den Impfstoff der Mainzer Firma erst in Ruanda und dann in Senegal in Containern herzustellen: Sie sollen in Deutschland ausgestattet und zumindest anfangs von BioNTech-Personal betrieben werden. Damit bliebe die Technologie fest in Mainzer Händen. Kenup regte sogar an, dass die in Ruanda und Senegal hergestellten Impfstoffe über die Europäische Arzneimittel-Agentur zugelassen werden: ein Vorschlag, der in Südafrika als “Gipfel des Paternalismus” zurückgewiesen wurde. Offenbar wolle man den Afrikanern nicht einmal die Kontrolle der in ihren Staaten hergestellten Seren überlassen. [10]
BioNTech-Impfstoff-Fabrik im mobilen Container
Expansion ist für Ampelregierung “Entwicklungshilfe”
BioNTech setzt die Ankündigung um und stellt eine erste transportfähige Impfstoffproduktionsstraße im Baukastenprinzip mit dem Produktnamen “BioNTainer” vor. „Zwölf Container werden zu zwei Gebäudemodulen zusammengesetzt. Bioreaktor, …Testinstrumente, … alles Notwendige, um 50 Millionen Dosen Impfstoff im Jahr herzustellen …“.
Auch die Bundesministerin für Entwicklungshilfe Svenja Schulze ist beeindruckt. Laut Schulze hat Deutschland bereits mehr als 500 Millionen Euro für den Auf- und Ausbau der Impfstoffproduktion in Afrika zur Verfügung gestellt. Die Ministerin kündigte weitere Investitionen an, denn es reiche nicht, „eine Fabrik hochzuziehen“. [11]
Zuvor hat auch sie eine Freigabe der Patente ausdrücklich abgelehnt. “Ich bezweifle, dass die Entwicklungsländer leichter an Impfstoffe herankommen, wenn wir die Patente freigeben“, sagte Schulze den Zeitungen der Funke Mediengruppe. [12]
Hilfsorganisationen sehen dies kritisch. Die EU und Deutschland wollen nun verstärkt auf die Impfstoffproduktion in Afrika setzen, jedoch weiterhin nur „unter der Monopolkontrolle der europäischen Pharmakonzerne“, sagte Pia Schwertner von Oxfam. „Dies würde den afrikanischen Ländern noch immer keine Autonomie bei der Produktion der Impfstoffe einräumen.“ [13]
“Aber warum nicht bestehende Kapazitäten ausbauen, wo bereits andere Medikamente hergestellt wurden?”, fragt Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen. Wie BioNTech mobile Impfstoffproduktionsstätten nach Afrika zu liefern, finde sie richtig und wichtig. Mehr Hilfe würde aber das Aussetzen der Patente auf mRNA-Impfstoffe bieten. [14]
Fazit: Die neokoloniale Praxis nimmt nur neue Formen an
Die Pharmakonzerne werden einen Teufel tun, ihre Monopolstellung aufzugeben.
Aber es gibt hier Unterschiede und Konkurrenz:
Moderna möchte auch eine führende Rolle in Afrika spielen. Während des Gipfels der öffentlich-privaten Impfstoffinitiative Cepi erklärte Moderna, in 92 Länder mit niedrigerem Einkommen auf den Patentschutz ihres Covid-Impfstoffes Spikevax zu verzichten und seine mRNA-Plattform für externe Wissenschaftler*innen zu öffnen[15]. Aber der Verzicht auf den Patentschutz ist befristet, und die Weitergabe von technischem Know-how sehr begrenzt. Ein Verzicht auf die Kontrolle der Produktion und auf Lizenzen ist das mitnichten.
Die beantrage Zulassung des kubanischen Impfstoffes Abdala liegt seit September letzten Jahres bei der Weltgesundheitsbehörde (WHO) auf Eis. Das obwohl die Impfstoffe die Phase 3 der empirischen Tests und Prüfungen bestanden haben und in Kuba und anderen Staaten bereits seit Monaten erfolgreich eingesetzt werden, und Kuba sie an die von jeglicher internationalen Hilfe abgeschnittenen Demokratische Arabische Republik Sahara spendet.[16] Im deutschen Ärzteblatt wurde dem Impfstoff nach der Boosterung mit einer Modifizierung schon im November 2021 eine Schutzwirkung auf 92,4 % bescheinigt [17]. Von der europäischen Zulassungsbehörde EMA ist eine Zulassung wohl kaum zu erwarten: Nach den Verfahrensregeln der EMA muss ein Unternehmen aus der EU einen entsprechenden Antrag einreichen. Wirkung: Bis heute sind von den 31 weltweit zugelassenen Impfstoffen nur fünf in Europa zugelassen worden, darunter Johnson und Astrazeneca [16]. Ein Schlingel, wer hier an die US-Blockade gegen Kuba mittels Vormachtstellung in der WHO oder an unlautere Wettbewerbsverzerrungen durch die EU denkt. Und welch Wunder, dass Kuba den Sanktionskurs gegen Putins Krieg nicht unterstützt hat.
Machtlos gegen Kolonialismus, BioNTech und Bundesregierung?
Wir sehen, dass auch unter einer Ampelregierung die Menschenrechte und ein weltweiter Gesundheitsschutz gegenüber national gedachter Wettbewerbsfähigkeit und grenzenloser Profitorientierung zurückgestellt werden. Das wird nun schon seit der Marktfähigkeit des ersten Impfstoffs beklagt. Ohne Wirkung.
Mein Vorschlag: Lasst uns über eine Initiative für einen Impfboykott gegen BioNTech diskutieren!
Klaus Noßeleit, 14.03.2022
Quellen:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/europa-afrika-gipfel-100.html
[6] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/131388/Einigung-im-Impfstoffpatentstreit-vorstellbar
[11] https://www.tagesschau.de/inland/biontech-impfstoff-produktion-afrika-101.html 16.02.2022
[14] https://www.tagesschau.de/inland/biontech-impfstoff-produktion-afrika-101.html 17.02.2022
[15] taz, 11.03.2022
[16] https://amerika21.de/2022/03/257026/kuba-spendet-impfstoffe-westsahara
[17] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/129557/SARS-CoV-2-Konjugatimpfstoff-aus-Kuba-erzielt-hohe-S