Was wir uns bis zum 24. Februar 2022 nicht vorstellen konnten: den Angriff Russlands auf die Ukraine. Mit diesem Angriffskrieg blockiert Russland alle Versuche, den Konflikt diplomatisch, also friedlich zu lösen. Unsere Solidarität gilt allen Opfern dieses Krieges.
Jetzt werden Rote Linien weggeräumt, die zurecht Bestand hatten. Was ist an Waffenlieferungen aus Deutschland friedensstiftend beziehungsweise Konflikt entschärfend? Warum sollte die Ukraine jetzt sofort in die EU? Warum vergessen deutsche Politiker, dass Deutschland sich 1999 unter einer rot-grünen Regierung am Jugoslawien-Krieg der Nato beteiligt hat? Ist der Krieg in der Ukraine eine weitere Stufe der Militarisierung unserer Gesellschaft? 100 Milliarden sofort an die Bundeswehr – wie jetzt von der Ampel-Koalition beschlossen – ist das deeskalierend? Wie sollte eine Antwort auf die Handlungen eines Potentaten wie Putin aussehen?
Wir geben unseren Lesern die Möglichkeit, ihre Sicht darzulegen. Drei Artikel liegen bislang vor. Wir hoffen, dass ihr die Möglichkeit wahrnehmt, euch hier zu äußern.
Die Redaktion
Putins Krieg in der Ukraine
Ich habe Angst. Wird der Krieg in der Ukraine begrenzt bleiben? Oder kommt es zu einer globalen Katastrophe? Es gibt einfach zu viele Atomwaffen auf der Welt, die hoffentlich niemals zum Einsatz kommen werden.
Niemals habe ich geglaubt, dass die schon fast mantrahaften Ankündigungen des amerikanischen Präsidenten, die dann auch von europäischen Politiker:innen übernommen wurden, sich bewahrheiten würden und Putin tatsächlich seine Soldaten in der Ukraine einmarschieren lässt.
Doch es fügt sich nun im Nachhinein wie ein Puzzle zusammen. Es war über die Jahre absehbar, dass Putin nicht nur ein Machtmensch ist, sondern auch noch skrupellos genug, seine Soldaten in den Tod zu schicken und in der Ukraine für unermessliches Leid zu sorgen. Viel zu viele Menschen sind dort schon gestorben und viel zu viele werden noch ihr Leben verlieren.
Was mögen die Beweggründe und Ziele von Putin sein? Wer wird diesem unerträglich grausamen Unsinn ein Ende bereiten können? Dürfen wir auf Vernunft hoffen?
Es bedarf natürlich noch einer umfassenden Analyse und Aufarbeitung des Geschehens. Dabei darf auch die Betrachtung der Nato und ihrer Osterweiterung nicht außer Acht gelassen werden. Die Nato-Osterweiterung ist auf keinen Fall eine Entschuldigung oder gar Legitimation für den russischen Angriff auf die Ukraine. Doch sie ist zumindest eine Provokation unter Missachtung der Sicherheitsinteressen Russlands gewesen.
Die Waffen müssen schweigen! Es muss wieder miteinander geredet werden. Es bedarf einer Friedenslösung, welcher auch Putin zustimmen kann, so schwierig diese auch zu finden sein wird. Dabei werden Kompromisse gemacht werden müssen, die der einen oder anderen Seite auch weh tun. Doch eine Alternative zum Frieden gibt es nicht!
Noch bleibt meine Angst, dass die Situation eskalieren kann.
Helmuth, 25.02.2022
Überlegungen zum Krieg in der Ukraine
Bei dem Konflikt – und jetzigem Krieg – um die Ukraine handelt es sich um den Kampf zweier Kapitalblöcke – auf der einen Seite das Großkapital mit seinen politischen Repräsentanten aus den USA und der EU, auf der anderen Seite diejenigen aus der russischen Föderation. Es geht um Einflusssphären, Marktanteile, Rohstoffe, Energiepläne und Transportwege. Wir haben keinen Grund, die einen sympathischer zu finden als die anderen. Dieser Konflikt ist systembedingt. Schon bei Marx haben wir gelesen: „Je ein Kapitalist schlägt viele andere tot.“
Wir haben bisher vor allem die Politik der Nato, also insbesondere der USA und der EU-Staaten, kritisiert, weil sie mit der Osterweiterung der Nato, der Raketenstationierung in Polen und Rumänien, den Defender-Europe-Manövern 2020 im Baltikum und 2021 am und auf dem Schwarzen Meer sowie der Duldung der Nichtumsetzung des Abkommens Minsk II durch die ukrainische Regierung die Spannungen immer weiter verschärft haben. Wir haben immer wieder vor dem Ausbruch eines Krieges gewarnt, der jetzt tatsächlich ausgebrochen ist.
Wenn die Kapitalisten und ihre Repräsentanten sich gegenseitig an die Gurgel gingen, könnte uns das ziemlich egal sein. Tatsächlich halten sie sich aber bei kriegerischen Auseinandersetzungen selbst raus und verdienen womöglich noch daran. Die Leidtragenden sind die einfachen Menschen, die als Soldaten aufeinander gehetzt werden, im Bombenhagel sterben oder – wenn sie „Glück“ haben – nur die Kosten zu tragen haben.
Deshalb ist es und war es schon immer die Forderung der Linken: „Schluss mit dem Krieg“. Konflikte müssen durch Verhandlungen gelöst werden. Was natürlich voraussetzt, dass beide Seiten bereit sind, die Interessen der jeweils anderen Seite zu berücksichtigen. Das ist zum Beispiel im Abkommen Minsk II geschehen. Nur müssen solche Verabredungen dann auch umgesetzt werden.
Was also tun? Gegenseitige Schuldzuweisungen und weiteres Drehen an der Bedrohungsschraube werden den Konflikt nicht lösen und den Krieg nicht beenden. Unsere Forderungen sollten sein:
- Sofortiger Waffenstillstand in der Ukraine
- Stopp der Sanktionspolitik gegen die russische Föderation
- Keine weiteren Nato-Truppen an die russische Grenze
- Umsetzung des Abkommens Minsk II zur Lösung des innerukrainischen Konflikts
- Verhandlungen über ein gesamteuropäisches Sicherheitskonzept, das die Sicherheitsinteressen aller Staaten einschließlich der russischen Föderation berücksichtigt.
Als Linke in der Bundesrepublik Deutschland fordern wir von der Bundesregierung als Beitrag zur Entspannung:
• Abzug der Bundeswehr aus allen Ländern östlich der Bundesrepublik
• Stopp der Sanktionspolitik gegenüber Russland und den Volksrepubliken
• Schluss mit der Unterstützung der aggressiven NATO-Politik – Deutschland raus aus der NATO
• Keine politische, finanzielle und militärische Unterstützung des nationalistischen ukrainischen Regimes
• keine Aufrüstung der Bundeswehr, Geld für Soziales, Bildung, Gesundheit
Immer daran denken: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ (Karl Liebknecht)
Peter, 27.02.2020
Putin bricht Völkerrecht und ist ein agent provocateur!
Am Donnerstag brachen für mich viele Gewissheiten wie ein Kartenhaus zusammen. Trotz gegensätzlicher Interessen von Nato und Russland bin ich davon ausgegangen, dass die Lösung nur im Verhandeln liegen kann. Trotz allem hat das in der Regel (wenn auch nicht immer und überall) geklappt. Ich erinnere mich noch gut an die Kubakrise. Im Januar 1959 begann die USA mit der Aufstellung von nuklearen Mittelstreckenraketen in England, in Apulien (Süditalien) und in der Nähe von Izmir in der Türkei. Gerade die in Izmir stationierten Mittelstreckenraketen verkürzten die Vorwarnzeit so deutlich, dass ein nuklearer Erstschlag gegen die UdSSR nicht ausgeschlossen war, der das Land durch massiven Einsatz von Kernwaffen vernichten und jede Vergeltung unmöglich machen sollte. Im Juni 1962 machte das US-Militär diese Raketen einsatzbereit. Die Russen reagierten und bauten angriffsfähige Raketenbasen auf Kuba auf. Der Ausgangspunkt der Kuba-Krise. Doch trotz allem kam man zu einer Lösung, die Sowjetunion zog ihre Raketen aus Kuba, die USA ihre aus der Türkei ab. An dem aggressiven Charakter der USA (und der Nato) gab es keinerlei Zweifel.
Noch in der Blockkonfrontation einigten sich die Staaten Europas, die USA, Kanada und die Sowjetunion in der Schlussakte von Helsinki 1975 auf die Unverletzbarkeit der Grenzen Europas und auf die Anerkennung der Souveränität aller Staaten. Um es für jeden und jede nachvollziehbar zu machen, zitiere ich hier direkt aus dieser Schlussakte:
„Die Teilnehmerstaaten werden gegenseitig ihre souveräne Gleichheit und Individualität sowie alle ihrer Souveränität innewohnenden und von ihr umschlossenen Rechte achten, einschließlich insbesondere des Rechtes eines jeden Staates auf rechtliche Gleichheit, auf territoriale Integrität sowie auf Freiheit und politische Unabhängigkeit. Sie werden ebenfalls das Recht jedes anderen Teilnehmerstaates achten, sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwickeln sowie sein Recht, seine Gesetze und Verordnungen zu bestimmen… Die Teilnehmerstaaten werden sich dementsprechend jeglicher Handlung enthalten, die eine Gewaltandrohung oder eine direkte oder indirekte Gewaltanwendung gegen einen anderen Teilnehmerstaat darstellt. Sie werden sich gleichermaßen jeglicher Gewaltmanifestation, die den Zweck hat, einen anderen Teilnehmerstaat zum Verzicht auf die volle Ausübung seiner souveränen Rechte zu bewegen, enthalten. Sie werden sich ebenso in ihren gegenseitigen Beziehungen jeglicher gewaltsamen Repressalie enthalten… Die Teilnehmerstaaten werden die territoriale Integrität eines jeden Teilnehmerstaates achten… Die Teilnehmerstaaten werden ebenso davon Abstand nehmen, das Territorium eines jeden anderen Teilnehmerstaates zum Gegenstand einer militärischen Besetzung oder anderer direkter oder indirekter Gewaltmaßnahmen unter Verletzung des Völkerrechts oder zum Gegenstand der Aneignung durch solche Maßnahmen oder deren Androhung zu machen. Keine solche Besetzung oder Aneignung wird als rechtmäßig anerkannt werden.“ (https://www.osce.org/files/f/documents/6/e/39503.pdf ).
Nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Lagers verabschiedeten die KSZE-Staaten (incl. Kanada, USA und der UdSSR) im November 1990 die Charta von Paris, die das Bekenntnis der Schlussakte von Helsinki bekräftigte und das Ende der Blockkonfrontation besiegeln sollte. In der Charta heißt es u.a.: „In Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen gemäß der Charta der Vereinten Nationen und der Schlußakte von Helsinki erneuern wir unser feierliches Versprechen, uns jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt oder jeder sonstigen mit den Grundsätzen oder Zielen dieser Dokumente unvereinbaren Handlung zu enthalten. Wir erinnern daran, daß die Nichterfüllung der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Wir bekräftigen unser Bekenntnis zur friedlichen Beilegung von Streitfällen. Wir beschließen, Mechanismen zur Verhütung und Lösung von Konflikten zwischen den Teilnehmerstaaten zu entwickeln.“ (https://www.osce.org/files/f/documents/5/b/39518.pdf )
Nach dem Zerfall der Sowjetunion besaß die Ukraine 176 strategische und 2500 taktische Atomwaffen und hatte damit das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. In dem Budapester Memorandum von 1994 (unterschrieben von der Ukraine, der Russischen Föderation, Großbritannien und den USA) verpflichtete sich die Ukraine, diese Atomwaffen an Russland abzutreten. Dafür sicherte Russland der Ukraine zu, auf jede Form der Gewalt gegen das Land zu verzichten. Der entscheidende Passus lautet: „The Russian Federation, the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, and The United States of America reaffirm their obligation to refrain from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of Ukraine, and that none of their weapons will ever be used against Ukraine except in self-defense or otherwise in accordance with the Charter of the United Nations.” (https://en.wikisource.org/wiki/Ukraine._Memorandum_on_Security_Assurances ) Übersetzung (Arne): „Die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika bekräftigen ihre Verpflichtung, die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit der Ukraine zu unterlassen, und dass keine ihrer Waffen jemals gegen die Ukraine eingesetzt werden, außer zur Selbstverteidigung oder anderweitig in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen.“
Alle diese internationalen Verträge hat Putin gebrochen. Sein lautes Geschrei, die ukrainische Regierung sei faschistisch – sie ist immerhin gewählt und es gibt auch eine Opposition – und eine Bande von Drogenabhängigen, erinnern mich an Stalins Tiraden gegen kritische Stimmen in der eigenen Partei.
Natürlich hat die Nato durch ihre Osterweiterung Russland provoziert. Natürlich hatte auch der Westen incl. der Ukraine keinerlei Interesse an einer friedlichen Regelung im Donezk-Becken. Das sind aber keinerlei Rechtfertigungen, die Ukraine mit Krieg zu überziehen. Was mich aber wütend und hilflos zugleich macht ist, dass die neuen Nato-Staaten im Osten von einem Angriff verschont bleiben. Nicht, dass ich das gewünscht hätte, aber wenn der Artikel 5 des Nato-Vertrages („Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.“ https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_17120.htm?selectedLocale=de ) Russland von einem Angriff abhält, was soll man dann den Völkern im Norden oder Osten raten, z.B. der Republik Moldau oder Finnland? Wäre etwa die Ukraine verschont geblieben, wenn sie in der NATO gewesen wäre?
Arne, 26.02.2022