Offener Brief an die Letzte Generation

Liebe Letzte Generation,

neben zerebralen Kurzschlüssen in den reaktionärsten Winkeln der Republik gab es auch solche Reaktionen auf eure Aktionsformen, die sich fast wohlwollend gaben: „Die Letzte Generation erweist der Klimabewegung einen Bärendienst.“ Das kam in Form kluger Kommentare ausgerechnet von denen, die gerade innovative Kompromisse schließen, um das fossile Karbon noch schneller zu verfeuern.

Bärendienst? – Mitnichten: Es war euer Beitrag zum Erfolg, ein Beschleuniger der Bewegung. In Lützerath zeigte sich die Klimabewegung geschlossener und größer als zu erwarten war. Keine Spaltung wurde zugelassen. Und die öffentliche Klimadiskussion kam allmählich wieder auf die erforderliche Betriebstemperatur: Abgesehen von dem Rasseln mit den Knastschlüsseln aus der üblichen Ecke, befasst sich das seriösere Feuilleton mehr mit eurem Anliegen, anstatt sich über eure Aktionsform aufzuregen. Und die plötzliche Entdeckung der CDU als die „wahre Klimaschutzpartei“ durch den Witzekasper Jens Spahn hat einen gewissen Unterhaltungswert.

Gratulation zu eurem Beitrag! Im Ernst!

Aber gebaggert wird trotz aller öffentlichen Ablehnung in Lützerath trotzdem. Ich fürchte, selbst wenn ihr eure Aktionsformen ausweitet und weiter verschärft.

Ich kann den (hoffentlich großen) Erfolg des Aufrufs zur Selbstanzeige gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen euch nicht bewerten. Eher versuche ich dieses einmal bei der Justiz. Kürzlich bemühte jemand Kurt Tucholsky, um diese als Klassenjustiz zu klassifizieren: „Ich habe ja nichts gegen die Klassenjustiz. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht.“ 1)  –  Bei der Anwendung dieses Zitats auf die Bemühungen der Staatsanwaltschaft Neuruppin fällt auf, dass die andere Klasse hier fehlt.

Und zwar die Klasse mit dem zwangsläufig kleinsten ökologischen Fußabdruck. Die gefälligst kalt duschen soll. Und die sich für ihre Mietwohnungen keine Wärmepumpen, Solarthermie etc. ermöglichen kann und dies gegenüber ihren Vermietern kaum durchsetzen kann. Der Klasse, der die Justiz den relativen Schutz durch den Berliner Mietendeckel ebenso untersagt, wie sie  den Kommunen „eine Waffe gegen Immobilienspekulationen und für Mieterschutz aus der Hand schlägt“, wie es die Berliner Zeitung passend titelte. 2)  Aber immerhin gibt es eine nennenswerte Mieterbewegung.

  • Mich würde interessieren, wie ihr euch eine Erhöhung der Wirksamkeit eurer Aktionen vorstellt.
  • Ihr appelliert an Regierungen und Parlamente, endlich wirksam Klimaschutz zu betreiben. Ich fürchte, die mit großindustriellen Parteispenden und Lobbyismus verstrickten staatlichen Institutionen lassen sich durch die Gefährdung eurer eigenen Gesundheit kaum beeindrucken.
  • Neben der Klimabewegung gibt es soziale, gewerkschaftliche und weitere Bewegungen, die trotz inhaltlicher Schnittmengen bisher parallel nebeneinander agieren. Aber hier tut sich was. Mich interessiert eure Haltung dazu.

Ich würde mich freuen, wenn wir hierzu auf der Seite von #unteilbar Bergedorf einen öffentlichen Meinungsaustausch mit eurer Beteiligung hinbekommen würden. Deshalb dieser offene Brief, der gleichzeitig an weitere Organisationen, Bewegungen und Initiativen in Bergedorf adressiert sein wird.

Mit solidarischen Grüßen

Klaus von #unteilbar-bergedorf

E-Mails bitte an: redaktion@unteilbar-bergedorf.org

 

PS: Die Redaktion von #unteilbar-bergedorf hat euren Aufruf zur Selbstanzeige unterstützt (www.unteilbar-bergedorf.org).

 

1) Kurt Tucholsky – Ich habe ja nichts gegen die Klassenjustiz. Mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht.

2) https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/nach-gerichtsurteil-in-mindestens-177-faellen-vorkaufsrecht-ausgeschlossen-li.251322