Wir fahren wieder los – ein Ausblick

Die rauen Winter- und Frühjahrsstürme klingen ab, gerade vor zwei Wochen haben wir noch einen dreitägigen Sturm gehabt, der an dem Steg, an dem unser Schiff, die Nadir, liegt, die Hälfte der Befestigungsketten zerrissen hat. In den Wintermonaten sind immer noch Menschen auf völlig überforderten Booten unterwegs, zum Glück aber nicht so viele. Die Nadir hat im Winter ein intensives Refit bekommen. Es wurden Rost- und Malerarbeiten erledigt, die Elektrik wurde komplett überholt, wobei hunderte Meter alter Kabel entfernt und erforderliche neu gezogen wurden. Es wurde eine leistungsstarke Solaranlage installiert, um weniger Generatorstunden erforderlich zu machen und das neu installierte Radar mit Strom zu versorgen. Die Anschaffung des Radars wurde notwendig, um Situationen wie im letzten Jahr, als die Nadir wie aus dem Nichts von einem libyschen „Fischkutter“ angegriffen wurde, früher zu erkennen. Weiterhin wird das Radar sehr hilfreich beim Auffinden von Flüchtlingsbooten sein. Wir haben eine siebte Koje eingebaut, um mit größerer Crew flexibler zu sein. 

Am 10.4.2022 wird die Nadir zum ersten Einsatz auslaufen und auf MarineTraffic und VesselFinder zu verfolgen sein. Wir werden immer 14 Tage auf See sein und vorher und nachher jeweils drei Tage einplanen, um das Schiff adäquat übergeben zu können. Die Situation für die Fliehenden hat sich verschärft, ca. 650.000 Menschen warten in Libyen auf den „Absprung“ über das Mittelmeer, unzählige von Ihnen haben ein unbeschreibliches Martyrium hinter sich. Aufwand zur Seenotrettung wird von europäischer Seite nicht betrieben, es werden den libyschen Milizen hunderte von Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die von der Küste Fliehenden wieder in die Folterlager zurückzubringen. Die Europäer beklagen hin und wieder die Rechtsstaatlosigkeit des nordafrikanischen Landes, erwähnen die schweren Menschenrechtsverletzungen in den Folterzentren, haben aber keine Skrupel die „Rückführung“ von im letzten Jahr 34.000 Menschen zu finanzieren.

Diesen ungleichen Kampf gegen Menschen auf der Flucht kennen wir seit 2017, neu ist allerdings die Situation des Krieges in Europa und in Verbindung damit eine seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr da gewesene Fluchtbewegung aus dem Nordosten. 4 Millionen Menschen sind auf der Flucht, für jeden einzelnen freuen wir uns von Herzen, wenn ihm Hilfe und Schutz zuteil wird, aber das muss für alle Menschen gelten. Es ist völlig inakzeptabel, dass es bereits jetzt Flüchtlinge erster und zweiter Klasse gibt. Auf der einen Seite Menschen, die aussehen wie wir und die man mit Omnibuskonvois und Flugzeugen in Sicherheit bringt, denen man alle sozialen und finanziellen Unterstützungen zukommen läßt – und auf der anderen Seite Familien mit Kleinkindern, die man an der Grenze von Weißrussland zu Polen über Monate im Dreck verkommen und sterben lässt, und Menschen,

die zu Hunderten auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken. 

Die Vorstellung, dass es noch offensiver heißt „das Boot ist voll“, macht uns Angst, Angst davor, mit einem Schiff mit ausgezehrten und geschundenen Menschen an Bord von Europa abgewiesen zu werden. Wie unwürdig die Situation der Sea Eye 4, die seit einer Woche mit Geflüchteten an Bord auf die Zuweisung eines sicheren Hafens wartet. Es muss uns mit vereinten Kräften gelingen, darauf aufmerksam zu machen, dass alle Menschen ein Recht auf Flucht und Überleben haben, unabhängig von ihrer Hautfarbe,  unabhängig davon, ob sie so aussehen wie wir oder nicht.

Wir sind dankbar für jede Spende oder Fördermitgliedschaft in unserem Verein.

Seenotrettung ist teuer, aber bezahlbar, ein Menschenleben nicht!

Ingo

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