Neun Fragen zu Corona

In der Redaktion diskutierten wir ausführlich darüber, was die Corona-Virus-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung bei uns persönlich und in unserer Gesellschaft bewirkt haben. Die verschiedenen Positionen versuchten wir herauszuarbeiten, indem alle Diskutanten sich auf dieselben 9 Fragen beziehen sollten. Es entstanden 4 Thesenpapiere. Sie hier vollständig wiederzugeben ist zuviel des Guten. Wir wollen stattdessen die wesentlichen Positionen zusammengefasst darstellen und so eine Debatte darüber anstoßen, ob und wie Corona unsere Gesellschaft verändert und wie wir darauf reagieren können. Wer sich an dieser Debatte beteiligen möchte, schickt seinen bzw. ihren Diskussionsbeitrag bitte an redaktion@unteilbar-bergedorf.de.

  1. Wie betreffen Dich persönlich die Corona-Maßnahmen?

    Die Positionen der Diskussionsteilnehmer variieren zwischen

    • Lob und Gelassenheit
      • »eine gelungene Informationspolitik durch die öffentlich-rechtlichen Medien«
      • »Ich finde es nicht schlimm, mich für das potentielle Wohlergehen anderer einzuschränken, Aktivitäten zu verschieben oder sein zu lassen.«
    • abwägend-nüchterner Akzeptanz der Kontaktbeschränkungen aus Furcht
      • »Vor Corona hatte ich eigentlich täglich einen oder mehrere Termine, Treffen mit Menschen zu gemeinsamen Aktivitäten, was nun alles nur noch virtuell geschieht. Das Virus ist eine Gefahr und ich nehme diese sehr ernst.«
    • und heftigem Furor verbunden mit allgemeiner Sozialkritik
      • »Ich bekomme davon sehr schlechte Laune: Diese Hysterie, diese Angst, diese Verlogenheit. Was ist das für ein Lebensgefühl?«
      • »Wenn die (medizinische) Obrigkeit eine Ausgangssperre oder ein Spielplatzverbot verhängt: Wen trifft es? Doch nicht die Obrigkeit oder die Mittelklasse, die haben ihren Garten und das Homeoffice.«
  2. Die Politik der Bundesregierung wird oft als alternativlos dargestellt. Stimmst Du der Alternativlosigkeit zu?

    Hier reichen die Meinungen von

    • bedingter Akzeptanz und Pragmatismus hinsichtlich der Beschränkungen
      • »In manchen Bundesländern führten sie  zu skurrilen Situationen«
      • »Wenn der Wald brennt, ist die Feuerwehr auch sehr hierarchisch und ich unterstütze sie dabei«
    • über Kritik an der Gesundheitspolitik
      • »Die jahrelange neoliberale Kürzungspolitik und Ausrichtung auf Marktmechanismen, die Krankenhäusern und Medizin auf eine Gewinnmaximierung getrimmt haben, versagt gesellschaftlich gerade besonders drastisch.«
    • bis zu der Einschätzung,  die Diskussion über die Maskenpflicht könne auch als ein »Fall von Massenhysterie« angesehen werden.
  3. Der Lock-Down bringt viele Einschränkungen mit sich. Was war positiv? Was kann bleiben?

    • Die Maßnahmen in Deutschland waren im internationalen Vergleich nicht so radikal.
      »eine gute Mischung aus notwendigen Einschränkungen und möglichen Freiheiten«
    • „Wichtig wäre anzuerkennen, dass Kundgebungen, Veranstaltungen und öffentliches Leben nicht weniger wichtig sind als die Produktion von Autos und die Spargelernte.«
    • »In dieser Ausnahmesituation zeigte sich die Hilfsbereitschaft einiger Menschen. Die war vorher vorhanden und wird bleiben. Es wird in Zukunft vermutlich weniger Dienstreisen geben und dafür mehr Videokonferenzen.«
    • »In der ersten Wochen des Lockdowns hätte man meinen können, das Corona-Virus sei von der Klimaschutz-Bewegung erfunden worden.
Es ist also möglich, den Schalter umzulegen:  ⇾ Flugverkehr und Kreuzfahrten stillgelegt ⇾ Autobahnen leer ⇾ ÖPNV faktisch kostenlos ⇾ Konsum beschränkt auf das, was man wirklich braucht ⇾ bedingungsloses Grundeinkommen.«
  4. In Deutschland ist mutmaßlich alles ganz gut gelaufen im Vergleich zu anderen Ländern. Was, vermutest Du, sind die Gründe dafür?

    Vier Faktoren machen die Diskutanten aus:

    • Die deutsche Disziplin und Gründlichkeit
    • Die rechtzeitige Reaktion der Verantwortlichen
    • Die Bereitschaft der Betroffenen, Einschränkungen hinzunehmen
    • Ein noch funktionierendes Gesundheitswesen
  5. Drosten oder nicht Drosten – unser Verhältnis zu den wissenschaftlichen Expertisen?

    • Die Orientierung an rationalen Argumenten ist wichtig, gleichzeitig ist Misstrauen gegenüber absoluten Wahrheitsansprüchen notwendig.
    • »Letztlich glaubt der Mensch, was er glauben will.«
    • Hilfreich wäre die verständliche Vermittlung von wissenschaftlichen Prozessen und den Methoden. Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört auch, dass Thesen oder Prognosen revidiert werden.
    • Wissenschaftliches Arbeiten ist oft komplex, steht bisweilen im Widerspruch zum »gesunden Menschenverstand«.
    • »Drosten imponiert mir durch seinen Kenntnisreichtum und seine selbstkritische Art, die immer auch von nur vorerst vermuteten oder noch nicht gesicherten Erkenntnissen spricht.«
  6. Freiheitsberaubung oder Schutz? Wodurch wird meine Bewertung der Restriktionen beeinflußt?

    • Die Verordnungen waren keine Freiheitsberaubung, sondern »der notwendige Schutz für mich und andere«.
    • »Entscheidend zum Thema ›Freiheitsberaubung und Schutz‹ ist das Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Freiheit.  Wichtig ist dabei, inwiefern mein Handeln auch andere betrifft. […] Es kommt stark auf den Kontext an.«
    • »Familie mit drei kleinen Kindern in Etagenwohnung, gesperrte Spielplätze, keine Naherholungsgebiete erreichbar – das ist Freiheitsberaubung.
Eltern mit drei Kindern, beide berufstätig, nicht systemrelevant, Kinder schulpflichtig, das bedeutet neben Arbeit, Haushalt, Kochen auch noch drei Kinder unterrichten – das ist kein Schutz, das ist Zumutung. Ehepaar mit guter Pension und eigener Wohnung am Stadtrand – das kann man geniessen: Diese Ruhe, diese Langsamkeit.«
  7. Wie retten wir die politische Kultur der Zivilgesellschaft in Zeiten der Kontaktbeschränkungen?

    • »Politische Kultur haben wir uns selber zurückgeholt, bzw. war es Seebrücke, die beharrlich auch unter den coronabedingten Abstands- und Hygieneregeln politische Demonstrationen erfochten haben.«
    • »Politische Kultur existiert durch Öffentlichkeit und Veröffentlichung.«
      Die mühsam ausgehandelten Mahnwachen etwa seien ein kleiner Schritt zu einer Belebung der Öffentlichkeit gewesen.
  8. Wie kommt es zu dieser bunten Mischung der “Hygienedemos”, wie gehen wir damit um und wieso tauchen sie erst zu dem Zeitpunkt auf, als die ersten Lockerungen der Restriktionen eingeleitet werden?

    Auch hier gibt es unterschiedliche Ansichten:

    • »Vielleicht sind diese Menschen auch nicht die hellsten und schnellsten?«
    • Vernünftige Fragen sollten ernst genommen werden, Aluhut-Träger und Verschwörungsmythologen hingegen nicht.
    • Die Mischung ist nicht bunt, sondern reicht von Naivität bis zu klarer Intention.
      • »Wir als Linke sollten rechte Verschwörungsfans argumentativ isolieren, ihnen nicht die Straße überlassen und eigene Aktivitäten entfalten.«
    • Dass sich Proteste gegen die Aussetzung der Grundrechte erst relativ spät formierten, liegt daran, dass es keine erprobten Bündnisse zu dieser Frage gibt. Die bei den Demos auftauchenden »Merkel-muss-weg«-Rechtspopulisten sind ein Kollateralschaden.
  9. Bei der Diskussion der Rettungsmaßnahmen bestehen Chancen, einen ökonomischen und sozialen Paradigmenwechsels einzuleiten. Worum wird es inhaltlich in der nahen Zukunft der politischen Auseinandersetzungen gehen?

    • Die Forderungen der Generationenstiftung an die Bundesregierung sind ein Ansatz: Keine Wirtschaftshilfen ohne strenge Bedingungen, Verpflichtung zur Rückzahlung von Krisenhilfen durch große Unternehmen, Verbot der gleichzeitigen Auszahlung von Dividenden und Boni, Bekenntnis zu den Klimazielen, eine menschenwürdige europäische Asylpolitik, Steuerreformen zur Entlastung geringer und mittlerer Einkommen etc.
    • »Die Intensität und Schnelligkeit der Auseinandersetzungen wird sich verschieben, aber die Grundlagen linker Politik bestätigen sich in der Krise. Für eine solidarischere, gesellschaftlich inklusive und unteilbare Politik, die allen Menschen unabhängig von Klasse und Identität eine Teilhabe ermöglicht.«
    • »Der Lockdown war ein krasser Bruch mit allen Glaubenssätzen darüber, was angeblich nicht geht – daraus muss sich eine Berechtigung für radikale Forderungen in den Bereichen Klima, Migration, Soziales und Gesundheit ableiten lassen.«