Mindestens eine tote Person und drei Vermisste im Mittelmeer. Ziviles Beobachtungsschiff NADIR rettet 36 Personen aus seeuntüchtigen Boot und 12 weitere Stunden später aus dem Wasser.
Die Crew des Segelschiffs NADIR von RESQSHIP e. V. hat am 31. Juli insgesamt 48 Menschen im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettet. 36 Personen konnten aus einem instabilen Stahlboot evakuiert werden, zwölf weitere wurden später im Wasser gefunden. Für eine Person kam jede Hilfe zu spät, drei Menschen gelten weiterhin als vermisst. Die Überlebenden hatten zuvor mehrere Tage auf einem manövrierunfähigen Stahlboot ausgeharrt – schutzlos den rauen Wetterbedingungen ausgesetzt.
Nach einer 20-tägigen Festsetzung war die NADIR am Mittwoch, den 30. Juli, wieder im Einsatzgebiet angekommen. Am Mittag des Folgetags, dem 31. Juli, hatte das Aufklärungsflugzeug SEABIRD2 der Organisation SEA-WATCH ein seeuntüchtiges Boot in der libyschen Such- und Rettungszone (SAR) gemeldet. Rund eine Stunde später traf die NADIR ein, um die Lage zu stabilisieren.
Im Erstkontakt berichteten die Überlebenden, dass sie vor sechs Tagen in Sfax (Tunesien) aufgebrochen waren. Bereits zwei Tage nach Abfahrt war ihnen der Treibstoff ausgegangen. Sie hatten Tage ohne jede Hilfe überlebt – ohne Nahrung, ohne ausreichend Wasser, ohne Rettungsequipment und schweren Unwettern mit teils über drei Meter hohen Wellen ausgeliefert. Angesichts der akuten Lebensgefahr und des bereits hohen Seegangs entschied die Crew, alle Menschen unverzüglich an Bord der NADIR zu nehmen.
Neun Frauen – darunter zwei Schwangere – sowie drei Kleinkinder, zwei davon nur einige Monate alt befanden sich an Bord des Stahlbootes. Die Babys waren stark dehydriert, unterkühlt und hatten seit sechs Tagen kaum Nahrung erhalten. Das medizinische Team beantragte umgehend die Evakuierung der besonders gefährdeten Personen bei den zuständigen italienischen Behörden.
»Viele der Geretteten waren körperlich extrem geschwächt. Zahlreiche Personen litten unter chemischen Verbrennungen durch den Kontakt mit Treibstoff und Salzwasser. Zudem beobachteten wir bei beiden Schwangeren ernsthafte Warnzeichen für Komplikationen, die auf einen möglichen Verlust des Fötus hinwiesen.«
– Francesca Renon, Ärztin an Bord der NADIR
Am Morgen des Donnerstags, 31. Juli, waren nach Angaben der Überlebenden 16 Personen ins Wasser gesprungen, um das nach Süden abdriftende Boot in Richtung Norden zu bewegen. Die hohen Wellen trennten sie jedoch rasch vom Boot und sie gerieten außer Sicht. Nachdem die NADIR am frühen Nachmittag das Stahlboot erreicht hatte und die Evakuierung abgeschlossen war, berichteten die Überlebenden den Crewmitgliedern von den Vermissten.
Die Besatzung leitete unverzüglich Suchmaßnahmen ein und konnte etwa eine Stunde später etliche Personen im Wasser lokalisieren. Zwölf der sechzehn Menschen konnten unterkühlt, erschöpft und desorientiert geborgen werden. Trotz der Unterstützung durch zivile Flugzeuge und Schiffe mehrerer NGOs, bleiben drei Personen weiterhin vermisst. Eine Person war, laut Augenzeugenberichten, bereits zuvor ertrunken.
»Dass wir die zwölf vermissten Personen tatsächlich noch lebend finden konnten, war ein besonderer Moment für uns. Die Erleichterung und Freude unter den Überlebenden, als sie sich an Bord der NADIR wieder in die Arme schließen konnten, war tief bewegend.«
– Elizabeth Leach, Rettungssanitäterin an Bord der NADIR
Gegen ein Uhr nachts am Freitag, den 1. August, evakuierte die italienische Küstenwache zehn Personen in kritischem medizinischen Zustand. Am Morgen, um etwa 10 Uhr, erreichte die NADIR den Hafen von Lampedusa, wo alle verbliebenen Menschen sicher an Land gehen konnten.
»Unsere Trauer ist begleitet von Fassungslosigkeit und Wut. Es ist inakzeptabel, dass sich Menschen gezwungen sehen, in seeuntaugliche Boote zu steigen und ihr Leben zu riskieren, in der Hoffnung auf ein sicheres Leben in Europa. Dass keine staatliche Rettung eingeleitet wird und europäische Institutionen untätig bleiben, ist ein moralisches Versagen der Europäischen Union und politisches Kalkül. Die drei Vermissten und die tote Person sind Opfer der rassistischen Grenzpolitik Europas. Wir fordern die Etablierung sichere Fluchtweg, das Ende der systematischen Behinderung der zivilen Flotte und eine europäische Kehrtwende in der europäischen Politik, die das Ende des Massensterben im Mittelmeer priorisiert.«
– Linda Rochlitzer, Stellvertretende Vorstandvorsitzende von RESQSHIP